Case study
Prävention von Radikalisierung mit Hilfe von Familienmitgliedern
Berufschulen und höherbildende Lehranstalten
14-17 jährige BerufschülerInnen oder SchülerInnen einer höherbildenden Lehranstalt
Alois ist eine 16-jähriger Schüler, der in Wien geboren ist. Beide Elternteile sind aus Österreich und gehören dem Mittelstand an, dennoch gehen beide einer Arbeit nach. Die Mutter hat sporadische Jobs als Haushälterin in unterschiedlichen Haushalten und der Vater ist Büroangestellter in einer Firma. Alois wohnt gemeinsam mit der gesamten Familie – inklusive seiner kleinen Schwester in einem Haus am Stadtrand.
Schon von Kindheitsbeinen an war Alois ein Schüler mit einem Aufmerksamkeitsdefizit, der sich schnell ablenken hat lassen und dauernd in Bewegung sein musste. Er konnte kaum länger als eine Stunde ruhig sitzen und den Worten der LehrerInnen zuhören, also bekam er früher oder später in jeder Klasse den Nimbus des störenden Schülers, der oft sein Umfeld aufmischte und seine Klassenkollegen ablenkte. Das Ergebnis war, dass Alois oft von der Klasse instrumentalisiert wurde und manchmal einfach im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. Seine nachfolgenden LehrerInnen waren in laufendem Kontakt mit seiner Familie, um die katastrophale, akademische Leistung zu besprechen.
Als die Jahre vergehen, geht Alois in unterschiedliche Kurse, lernt aber nie für seine Prüfungen. Obwohl Alois perfekte Voraussetzungen hätte und ein intelligenter Schüler ist, wurde er von den meisten der Schulfächer suspendiert. Mittlerweile ist es sehr unwahrscheinlich, dass Alois heuer seinen Abschluss machen kann und wird voraussichtlich eine alternative Ausbildung in der Berufschule machen.
Alois’ Verhalten hat sich – wie erwartet – in extreme Rebellion gegen die gesamte Außenwelt entwickelt. Er verhält sich trotzig und ist Personen gegenüber, die ihm das Gefühl der Unterwürfigkeit vermitteln, aggressiv. Wie auch immer, er ist ein freundlicher und charmanter junger Mann, der sehr umgänglich ist mit KollegInnen und Gruppen, die er aussucht (es gibt aber auch andere Gruppen, die ihm das Leben schwer machen). Durch sein selbstsicheres Auftreten und seinen offenen Zugang zu anderen, wurde er Klassensprecher und beeinflusst so direkt das Verhalten der anderen (oftmals gegen die andere nicht-gewählte Gruppe).
Als Jugendlicher war die Beziehung zwischen Alois und seinen Eltern immer schlechter, mit seiner Mutter hatte der sogar den Punkt des totalen Anschweigens erreicht und mit seinem Vater hatte er auch nur selten gesprochen. Die Situation zuhause ist unhaltbar und Alois versucht jede Möglichkeit des Ausweges zu nutzen, um den Frustrationen und dem Ärger, die er aus dem privaten Umfeld und er Schule aufgebaut hatte, Luft zu machen. Der Freundeskreis mit dem er laufenden Kontakt hat, besteht aus jungen Burschen, die vor allem in der Nacht weggehen und in denen manche auch Kontakt zum Drogenmilieu haben und die Hehlerei mit Rauschgiften zu einer Überlebensmöglichkeit wurde.
In letzter Zeit war Alois an vielen Demonstrationen beteiligt und wurde einmal sogar festgenommen weil er eine gewaltsame Auseinandersetzung anführte. Zusätzlich wurde er mehr als einmal wegen Beschädigung öffentlichen Eigentums (Graffiti war nur eines davon) angezeigt und zu Geldstrafen verurteilt. Trotzalledem hat Alois eine exezellente Gabe für jedes künstlerische Handwerk, allen voran Malen (und Graffiti), aber auch Musik. Gelegentlich hat Alois die angesetzte Prüfung mit Auszeichnung bestanden ohne dafür wirklich gelernt zu haben.
Alois war Zeit seines Lebens auf Empfehlung seiner Eltern bei den unterschiedlichsten Psychologen, allerdings macht es nicht den Anschein, dass irgendeine Therapie angeschlagen hätte und mittlerweile möchte der Bub auch überhaupt keine professionelle Hilfe mehr annehmen. Die Familie ist verzweifelt und hat einen Tiefpunkt erreicht, aus dem sie den Ausweg nicht mehr erkennen. Seine Eltern fürchten, dass Alois sich weiterhin mit Leuten umgehen wird, die ein schlechter Einfluss auf ihn sind und er irgendwann in kriminelle Aktion verwickelt sein wird und schlussendlich eine Gefängnisstrafe absitzen wird.
BerufschullehrerInnen
Der/die LehrerIn weiß nicht genau wie er/sie die Situation mit dem Schüler handhaben soll, also macht er/sie einen Termin für Alois mit dem Psychologen aus.
Der Schüler reagiert negative auf den Vorschlag und er bringt ihn in die Situation, die Emotionen der Rebellion, die er nur zu gut kennt, wieder zu durchleben. Er vermutet, dass er die Rolle des Unverstandenen, Rebellen und Versagers, bekommt, was ihn in seinem Verhalten bestätigt.
Der/die LehrerIn – gemeinsam mit einem Team aus anderen LehrerInnen – setzt ein paar Regeln fest im Umgang mit dem betroffenen Schüler. Sie werden den Fokus auf positive Verstärkung legen. Sie werden ihm Aufgaben übertragen, für die er verantwortlich ist und die wesentlich für die Arbeit in der Klasse sind. Sie werden ihn motivieren, indem sie ihm die Aufgaben geben, die der Schüler mag und in denen er gut ist (zB. Die Klasse mit Plakaten zu dekorieren, ein Musikstück zu entwickeln, das im Anschluss bei einer Schulparty aufgeführt wird, etc.)
Der Schüler – unerfreut über das Verhalten der LehrerInnen, die vor ihm stehen wie nie zuvor – ist dennoch überrascht und reagiert positiv und sagt dem vorgeschlagenen Umgangsregeln zu. Das Selbstbewusstsein steigert sich, wenn man realisiert, dass es da viele Dinge gibt, die man sehr gut kann und wenn diese auch positiv wahrgenommen werden.
Der/die SchullehrerIn tritt in Kontakt mit der Familie, um so die Ausgangssituation abzuklären und wie sich der Schüler zuhause im Familienverband einbringt. Der Lehrbeauftragte teilt den Eltern die geplante Strategie mit, die auch sie mit Alois anwenden sollten. Somit wird von beiden Seiten – Schule und Familie – die gleiche Zielrichtung verfolgt und sie können gegenseitige Fortschritte im Verhalten des Schülers feststellen und besprechen.
Als Alois den gleichen Stimulus von seinem schulischen Umfeld und von seiner Familie bekommt, hat dies einen doppelt positiven Effekt auf sein Verhalten. Die Zeichen der Radikalisierung beginnen zu verschwinden, weil zunehmend weniger Gründe für die Kanalisierung seiner Frustration, seines Ärgers und seiner Unzufriedenheit gibt. Er beginnt zu lernen und Schulfächer zu bestehen, die im Umkehrschluss ihm auch das notwendige positive Gefühl geben, sodass auch sein Selbstbewusstsein gestärkt wird.
Die Beziehung, die zwischen Schule und Familien aufgebaut werden sollte, ist wesentlich für die Entwicklung der SchülerInnen. In schwierigen und empfindlichen Kontext ist es manchmal schwer auf sie zu zählen, es ist dennoch wesentlich, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die beiden zueinander zu bringen.
Es besteht ein direkter Zusammenhand zwischen Schulversagen und antisozialem Verhalten, das kann in vielen Fällen zu einer unterschiedlichen Form der Radikalisierung führen. Daher führen Psychologen akademisches Versagen als einen der Hauptgründe für kriminelles Verhalten an. Weiters ist es eine gängige Meinung, dass Kinder für Gewalt empfänglicher sind, wenn sie wenig Selbstbewusstsein haben, die auf beispielsweise schlechten akademischen Ergebnissen beruht.
Andere potenzielle Gründe für Verhaltensänderungen werden hier folgend dargelegt:
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Niedriges Selbstbewusstsein
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Angehörigkeit zu einer labilen Gruppe
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Ausgrenzung durch eine Gruppe
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Ablehnung von der Familie
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Schulisches Versagen
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Physische Bestrafung
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Fehlende, elterliche Betreuung
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Ineffiziente elterliche Erziehung
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Soziale Benachteiligung
In vielen Fällen sind sich die Schulen sehr wohl bewusst, dass es diese möglichen Abweichungen von SchülerInnen gibt, und die LehrerInnen machen auch die Anstrengung, diese anfänglichen Signale zu erkennen und sie zu vermeiden und es endet meistens in Radikalisierung. Aber manchmal haben Schulen, LehrerInnen, ErzieherInnen, TrainerInnen nicht die notwendigen Informationen – die die Familien zur Verfügung stellen könnten. Das ist der Grund, warum es vorgeschlagen wird, dass die Familien ebenfalls in den Schulen eingeladen werden sollen, um so die Entwicklung der SchülerInnen von deren Seite mit der Schule zu teilen.
Quellen
- Aguirre, A.M.; Caro, C.; Fernández, S.; Silvero, M. Familia, escuela y sociedad. Unir, 2016.
- Cagigal de Gregorio, V. La orientación familiar en el ámbito escolar. La creación de centros de atención a familias en los centros educativos a partir de la experiencia del CAF Padre Piquer. Obra Social Caja Madrid, Universidad Pontificia de Comillas, 2009.